Hier das aktualisierte Programm für die Anarchist Book Fair 2025 in Graz. Alle Programmpunkte finden im Spektral, Lendkai 45, statt.
Programm-Updates und das Veröffentlichen von Vertiefungstexten passieren laufend. Die Räumlichkeiten werden jeweils kurz vor der ersten Veranstaltung eröffnet. Die Büchertische sind zugänglich solange geöffnet ist.
Flüsterübersetzung Englisch – Deutsch möglich
Whisper translations possible German – English
––– Fr, 24.10.25 –––
14.00 ERÖFFNUNG DER BOOK FAIR (Zines- & Bücherstöbern)
15.00 Psychiatrische Fremdzuschreibung als Herrschaftsinstrument¹ –– Wie die Klassifizierungstools ICD-11, DSM-5, etc. funktionieren und was sie mit uns machen. (Input / Diskussion, Deutsch & English)
17.00 Über Zensur und aktuelle Repressionsschläge der Generalstaatsanwaltschaft München u.a. gegen anarchistische Zeitungen² (Vortrag / Diskussion, Deutsch)
19.00 ABENDESSEN
20.00 “Gewalt auf der Book Fair”? Diskussion zu physischen Auseinandersetzungen und anderen Formen der Machtausübung im Szene-Kontext (Deutsch & English)
––– Sa, 25.10.25 –––
10.00 Powerdynamics³ –– Wie gehen wir mit Machtverhältnissen innerhalb der Szene um? (Diskussion / Workshop, Deutsch)
12.00 MITTAGESSEN
13.00 Situation and developments in Hungary from an anarchist perspective⁴ (Presentation, English)
15.00 “This is not a safe space, this is a threatening space!“⁵ –– Der Beitrag soll Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem Konzept von “Safe Spaces” geben und die Konsequenzen seiner vermeintlichen Umsetzung beleuchten. (Input & Diskussion, Deutsch & English)
17.00 Peršmanhof –– Bericht über die Razzia durch die Bullen in Koroška (Kärnten) mit anschließender Diskussion (Deutsch)
19.00 ABENDESSEN
20.00 Macht kaputt was KAPUTT FM macht! Eine noisig-experimentelle Lesung zum Thema Repression und Militarisierung.
[Achtung: Zeitumstellung!]
––– So, 26.10.25 ––– (Militaristischer Dreckstag in Österreich)
10.00 DIY BRUNCH –– Bitte selbst Zeug mitnehmen 🙂
12.00 Patriarchale Gewalt⁶ (Diskussion, Deutsch. Für alle Geschlechter)
14.00 Thema: Antimilitarismus (Offene Diskussion, Deutsch / English) Es werden zwei Texte zur Diskussion vorgeschlagen. Einer in deutscher Sprache, einer in englischer Sprache. | There will be one text in English and one in German, which are proposed to be disussed.
17.00 GEMEINSAMES AUFRÄUMEN
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(1) Psychiatrische Fremdzuschreibung als Herrschaftsinstrument
Stell dir vor, du bist nicht rechtzeitig rausgekommen. Stell dir vor, du hast es nicht geschafft, dich zu verstecken und unterzutauchen. Jetzt wurdest du eingezogen, in den Krieg, wirst in den Schützengraben gesteckt, um auf jene zu schießen, mit denen du mehr gemeinsam hast, als mit denen, die dich in diese Situation gebracht haben. Vorne lauert potentiell Tod oder körperliche – jedenfalls jedoch geistige – Verstümmelung. Hinten lauert die Militärpolizei und das Militärgericht. Was kann ein Ausweg sein? Vielleicht sich ein wenig dümmer stellen, vielleicht vorgeben, Befehle nicht ganz verstanden zu haben, Ausreden hervorzaubern, du würdest dich ja gerne mit wehenden Fahnen mutig in das Gemetzel werfen, aber leider, jetzt, heute, ginge es leider nicht. Also knapp an der Befehlsverweigerung vorbei. Wegen Begriffsstutzigkeit oder Verpeiltheit wird wohl niemand angeklagt werden. Solche und andere „unreifen“ Verhaltensweisen hatte der Militärpsychiater Colonel Menninger im 2. Weltkrieg erstaunt beobachtet. Wenn schon das Geschütz Militärgericht nicht aufgefahren werden kann, dann halt ein anderes Geschütz: es kann sich nur um Verrückte und psychisch Erkrankte handeln, denn jeder gesunde Mensch müsste doch mit lautem Hurraaa-Geschrei in den Kampf ziehen um unsere Freiheit, unsere Demokratie, unseren Führer, unseren Wohlstand, unseren Way-of-Life zu verteidigen. Et voilà: ein neues psychisches Störungsbild wurde von Colonel Menninger entdeckt: Passiv-aggressives Verhalten! Sobald musste es in die Gesetzesbücher der psychischen Devianz aufgenommen werden: ICD und DSM. Das ist nur ein Beispiel unter anderen, wie „Abweichungen“ von einer Norm, die bestehenden Herrschaftssystemen nicht in die Quere kommt, in diese beiden Standardwerke aufgenommen wurde. Einige „Abweichungen“ wurden im Lauf der Zeit rausgestrichen, stellen sie doch keine ernsthafte Bedrohung der bestehenden Ordnung mehr da. In dieser Diskussion soll über weitere Beispiele, sowie ganz grundsätzlich über Fremdzuschreibung (und auch Eigenzuschreibung) als Herrschaftsinstrument gesprochen, diskutiert und gestritten werden…
(2) Über Zensur und aktuelle Repressionsschläge der Generalstaatsanwaltschaft München u.a. gegen anarchistische Zeitungen
In der Nacht von 26. auf 27. Februar gab es in München, im Münchner Umland und Österreich koordinierte Hausdurchsuchungen gegen Anarchist:innen, wobei der Gefährte Manuel und die Gefährtin Nathalie von den Bullenschweinen, oder wie man in Österreich pflegt zu sagen, deppade Hidl-Buam, brunzdeppade Gschupfte, fetzendeppade Gschmier, å’grennte Zångla, gschissene Polente oder oanfoch nua Oaschlöcha entführt und in U-Haft gesteckt. Beide wurden vor kurzem aus der Haft entlassen.
Doch worum ging es: Insgesamt um drei verschiedene Verfahren. Das eine ist das Verfahren gegen den Zündlumpen, das seit 2022 läuft und schon damals zu Hausdurchsuchungen führte. Dem Zündlumpen wird vorgeworfen, eine “kriminelle Organisation” zu sein und dieser Vorwurf führte zur U-Haft von Manuel und Nathalie. In diesem Verfahren gibt es eine weitere beschuldigte Person. Außerdem führte dieses Verfahren zum Raub einer ganzen Druckerei und der Schließung der anarchistischen Bibliothek Frevel.
Im zweiten Verfahren besteht gegen Manuel und Nathalie ein sogenannter “Anfangsverdacht” wegen 6 bzw. 7 Brandstiftungen. Diese haben sich unter anderem gegen Forstmaschinen, eine Geothermieanlage, ein Windrad und eine Gleisbaumaschine gerichtet.
Im dritten Verfahren geht es um die einmalig erschienene Zeitung „Hetzblatt gegen den Windpark“, die im Raum Altötting verteilt wurde und sich gegen ein Windparkprojekt des Chemiekonzerns Wacker richtet, welcher sich mit diesem Projekt ein “grünes” Label geben will, um davon abzulenken, dass er regelmäßig die Umgebung vergiftet. Dafür soll ein großer Teil des sich dort befindenden Wald gerodet werden um damit 10% der benötigten Energie für das Chemiedreieck zu produzieren (bei zukünftig höherem Energieverbrauch wären es nur noch 5%). Diese Zeitung soll Straftaten “gebilligt” haben. In diesem Verfahren gibt es aktuell 4 Beschuldigte (zwischenzeitlich waren es 5).
Außerdem wird es einen geschichtlichen Input zu Zensur in Österreich, speziell in der Zeit kurz vor der sogenannten Ausnahmegesetze, die sich Ende des 19. Jahrhunderts gegen Anarchisten und Sozialrevolutionäre richteten, geben. Auch auf die Taktiken, wie man trotz Zensur Publikationen verteilt hat, wird eingegangen.
Am Schluss würde ich mich über eine Diskussion freuen, wie man mit zunehmender Verfolgung anarchistischer Ideen umgeht.
(3) Powerdynamics –– Wie gehen wir mit Machtverhältnissen innerhalb der Szene um?
In dieser Diskussion versuchen wir uns gemeinsam im Diskurs, Nachdenken, Philosophieren und Reflektionsanregungen rund um Macht und deren mögliche Erscheinungsformen innerhalb unserer Beziehungen und Begegnungen. Manchmal werden wir die praktischen Beispiele verlassen und uns Macht auf einer Metaebene anschauen um dann wieder konkreter zu werden.
Wir können in dieser Diskussion gemeinsam reflektieren zu Themen, die ihr mitbringt oder wir reflektieren und denken an anderen möglichen Beispielen herum.
(4) Situation and developments in Hungary from an anarchist perspective
The Hungarian political scene is not so widely reported on, other than a few outlying cases. Everybody knows Viktor Orbán and his “opponent” Péter Magyar, but not so much about the daily reality of the Hungarian working class – is housing affordable in Hungary? Are there any unions? What about the Pride ban? What about the anarchist and leftist scene? If you would like to know more about the situation in Hungary, come to the presentation of two anarchists from Budapest! After the presentation, feel free to come and talk to us!
(5) “This is not a safe space, this is a threatening space!“*
Es ist wichtig Orte zu schaffen, an denen aufeinander geachtet wird und sich Menschen erholen können. Doch sollten wir nicht darin auf ewig verweilen und uns unter einem Laubhaufen verigeln. Nicht um brauchbar zu sein für die kapitalistische Gesellschaft, sondern um das Leben wirklich zu leben. Denn wenn wir uns nur verigeln und in unserem ewigen Winter verharren, dann hat das nicht nur gravierende Auswirkungen auf unseren Alltag und wie dieser bewältigt wird, sondern auch für alle Projekte und Aktionen, die auf der Strecke bleiben. Oder um es anders zu formulieren: Eine blutende Wunde muss gestillt werden um zu heilen, es ist unmöglich durchs Leben zu gehen und zu erwarten immer einen sterilen Raum zu Verfügung zu haben oder das andere ihr Verhalten so immerfort verändern, damit sich diese Wunde nicht entzündet
So ist es umso wichtiger, zu erkennen, dass das Aufrechterhalten einer solchen „sterilen Umgebung“ zu einem gewissen Grad eine Gewaltausübung an sich ist und der Bruch dieser Illusion einer möglichst ‚triggerfreien‘ Umgebung zerschmetternd sein kann (besonders bei sexualisierter Gewalt). Ein solcher Raum kann nur mit autoritären Maßnahmen aufrecht erhalten werden.
Eng verbunden damit sind auch Awarnessteams. Doch kann man sich schon einmal fragen, was bringt es mit sich, wenn Awareness institutionalisiert wird? Denn aufeinander zu achten bedeutet nicht nur eine Schicht abzuschließen und sonst mit „Awareness“ nichts am Hut zu haben. Es bedeutet, nicht zu schweigen, sich einzumischen und solidarisch zu zeigen. Und es bedeutet, füreinander einzustehen, anderen Raum zu geben, sich selbst aber nicht zu missachten oder kaputt zu machen im Prozess.
Ein paar Anstoßende Fragen:
Wo können wir uns sicher fühlen? Was bedeuten Safe Spaces und wem bringen sie etwas? Wie gehen wir mit Gewalt um?
*der Titel bezieht sich auf das Buch ‚Indigenous Anarchy‘, in dem der anarchistische Infoshop explizit als „threathining space“ bezeichnet wird. Unter anderem geht es darum, kein safe space für neokoloniale scheinbar befreiende projekte, rassismus, sexismus, etc., zu sein und im alltäglichen Kampf mit den Verhältnissen zu stehen.
(6) Patriarchale Gewalt – Textvorschlag als Diskussionsgrundlage: Austausch zu männlicher Gewalt
Unserer Meinung nach ist männliche Gewalt immer willentlich, nie “zufällig”, kein Ergebnis irgendeiner “größeren, tiefliegenden” Kraft oder Essenz. Männlicher Gewalt geht immer eine Entscheidung voraus diese durchzuführen. Wenn dem so ist, dann ist diese Entscheidung aber nicht in Stein gemeißelt. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass anstatt zu männlicher Gewalt zu schweigen, sich immer wieder Gefährt*innen auf die Suche nach Veränderung begeben.
Unserer Beobachtung nach reagieren Andere/Dritte (Männer) aber oft so wenn sie von Gewalthandlungen anderer Männer erfahren: mit Überheblichkeit (“Ich bin der gute, reflektierte Mann”), (Rache-)Phantasien, Ausschluss von bekannt gewordenen Tätern, distanzieren sich (in sich selbst), körperlicher Gewalt und vorallem mit einer Mauer aus Schweigen oder Ignoranz.
Dadurch wird es dem Bekanntgewordenen oder “auffälligen” Gewalttäter/Mann ebenso “leicht” gemacht die Konfrontation zu vermeiden. Das Schweigen der “Anderen”, das “Nicht-Verhalten” oder Abstrafen – damit machen es sich alle Männer // männlichen Gewalttäter “leicht”. Da sie ihre Gefühle abspalten, nicht in die Konfrontation gehen, sich nicht verändern, wieder//weiter gewaltätig werden. Der einsame, selbstmitleidige und oder harte Mann ist ein einstudiertes Muster, in das viele von uns schnell fallen.
Wenn männliche Gewalt//Übergriffe über Freundeskreise, fest organisierte Gruppen oder Affinitätsgruppen hinaus besprochen wird, geschieht das oft nur nach veröffentlichten Outings, Ausschlüssen. Das macht den Eindruck, als ob dies der einzige Umgang wäre. Dabei ist männliche Gewalt so weit verbreitet, dass das nicht wirklich vorstellbar ist. Viele von uns sind in Kontakt oder befreundet mit übergriffigen Menschen oder sind selber gewalttätig. Weil das Sprechen darüber aber hauptsächlich in kleinen Zirkeln oder Zweierbeziehungen stattfindet, scheint diese Realität fast unsichtbar. Das möchten wir in diesen Gesprächen ändern.
Als Einstieg stellen wir dazu ein paar Fragen:
Wieso gehe ich mit Tätern um? Wie beurteile ich eine Veränderung von Verhalten, Denken?
Wieso möchte ich andere nicht verletzen? Was bringt es mir, nicht oder weniger gewalttätig zu sein?
Woran merke ich Veränderung in mir selber? Wie gehe ich mit Scham, Angst, Konsequenzen um? Was bedeutet Empathie für mich?
Wir wünschen uns keine “Expert*innendiskussion” darüber, welche (Patriarchats-)Theorie wieder die beste ist// sein soll. Freuen uns aber auf jeden Fall über Leseempfehlungen.
Ehrliche Aussprache um in Kontakt mit Scham und Ekel zu gehen – sonst ist freie Assoziation nicht möglich.









