DIE STADT IN TRÜMMERN

(English version below…)

19. – 21. September 2024
DRITTE ANARCHISTISCHE BUCHMESSE IN GRAZ

«DIE STADT IN TRÜMMERN»

Die Stadt zerstört unsere Autonomie, unsere sozialen Beziehung und all das, was wir und andere Wesen zum Leben brauchen. Die Stadt, wie wir sie kennen, prägt unsere Leben, unser Denken, die Art wie wir die Welt sehen. Die Stadt, wie wir sie kennen, bedeutet: beinahe lückenlose Überwachung, soziale Kontrolle, Stress, schlechte Luft und Entfremdung. Jeder Versuch ihr zu entfliehen, entpuppt sich schnell als Selbstbetrug, der höchstens temporär aufrecht erhalten werden kann. Wir alle leben in der Stadt – als System erstreckt sie sich weit über dicht besiedelte Gebiete hinaus. Selbst diejenigen, die sich im Landidyll wähnen, müssen bald erkennen, dass sie voll in die Logik der global vernetzten Infrastruktur integriert sind.
Doch: Wenn die Stadt überall ist, kann sie auch überall angegriffen werden.

Die Stadt in Trümmern. Sie ist Projektion.
In einer Zeit der Perspektivenlosigkeit finden wir in der Negation des Bestehenden, in seiner Zerstörung, zwar keine Hoffnung, jedoch einen Ansatzpunkt. Einen Punkt, von dem ausgehend sich unser kreatives Potential entfalten könnte.
Wenn sich die soziale Spannung entlädt, mag dies ohne Strategie geschehen und kann dabei dennoch zielgerichtet sein. Wer sich in dieser Entladung zu verwirklichen sucht, muss keineswegs eine anarchistische Analyse teilen. Ein Stottern im gut geschmierten Ablauf entsteht aber allemal. Und diejenigen, die in einem solchen Tumult die eigenen anarchistischen Träume ausleben wollen, haben dazu die Möglichkeit, wenn sie diese nur ergreifen. Und abseits jeglicher Romantisierung müssen wir uns unserer anarchistischen Aufgabe in den erwartbaren und bereits stattfindenden Tumulten bewusst werden: Sie lautet alle Autoritäten (seien sie bestehend oder im entstehen begriffen), die diese Entladungen für sich nutzen wollen, zu identifizieren und zu zerstören.

Die Stadt in Trümmern. Sie ist lähmende Bedrohung.
Vor unseren Augen pinseln die Herrschenden eine Szenerie des Horrors. Ein Bild das uns in Angst versetzen soll. Uns gefügig machen soll. Wir leben in Abhängigkeit: Was wenn die infrastrukturelle Nabelschnur reißt und wir uns alleine wiederfinden – als zerstörte Individuen, zerstörte soziale Gefüge in zerstörten Landschaften? Uns wird weisgemacht, dass wir nur unter der wärmenden Smog-Kuppel der Stadt überleben können. Nur ihr ausgefeiltes Versorgungssystem könne uns erhalten.
Selbst diejenigen, die ein Ende der Stadt herbeisehnen, scheinen mehr Perspektive in ihrem «natürlichen» Zusammenbruch zu sehen, als in ihrer aktiven Zerstörung durch einen revolutionären Prozess. Die Erzählung des Kollaps hemmt unsere Lust am Aufstand.

Die Stadt in Trümmern. Sie ist soziale Realität.
Jenseits von autoritärer Angstmacherei und aufständischer Projektion ist der Stadt Lebensraum für die Meisten. Trotz all der Entfremdung sind die sozialen Beziehung, die wir führen, unweigerlich mit der Stadt verwoben. Auch in der Stadt sind die Menschen auf gegenseitige Hilfe angewiesen und versuchen dabei ihr Leben so schön es geht zu gestalten. Neben Frustration und Aushöhlung erfahren wir in den Städten also auch Freude, Gemeinschaft und beizeiten Selbstverwirklichung. Und Viele haben die Stadt als Spielfeld für ihre Handlungen des Widerstands lieben gelernt.
Ihre Zerstörung sei es aus kriegerischer Absicht, durch natürliche Ereignisse oder aber selbstgewählt in einem Akt der revolutionären Entladung konfrontiert uns mit konkreten sozialen Problemen vielfach auch mit Leid und Elend. Jedoch treffen sowohl die Zerstörung der Stadt als auch ihr Aufrechterhaltung jene am heftigsten, die bereits jetzt am stärksten ausgegrenzt sind. Und es ist mitunter wichtig daran zu erinnern, dass die Stadt lebensfeindlich ist und sich keineswegs selbst erhalten kann. Ohne Ausbeutung der (weiteren) Umgebung gibt es kaum oder nur schwer Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und Wärme.
Erhalt oder Wiederaufbau der städtisch geprägten Unterdrückung kann also nicht unser Ziel sein. Die Stadt bedeutet Kontrolle, Exklusion und Aushöhlung. Und ein scheinbar gutes Leben in der Stadt für Manche baut stets auf der Ausbeutung Vieler auf.

Die Angst das zu verlieren was wir besitzen führt zur Zerstörung dessen was wir brauchen.

Zerstören wir also die Stadt als System, mit ihrer inhärenten Logik der Hierarchie, Ausbeutung und Vernutzung von Ressourcen. Beginnen wir uns auf ihren Trümmern und jenseits davon unsere Leben neu zu gestalten.
Wer sein Glück im Eskapismus sucht und das schöne Idyll des Landlebens genießen will ohne die umliegenden Projekte der extraktivistischen Infrastruktur zu sehen, ohne zu merken, dass die Periphärie selbst Teil der Logik Stadt ist, hat die Analyse verschlafen und sich aus der Diskussion ausgeklinkt. Egal wie sehr nach dem Rückzug gestrebt wird: Wir können nur durch Gemeinschaft und Kooperation existieren. Und diese Kooperation beeinhaltet stets erschaffende wie abschaffende Elemente.

Die Stadt ist überall. Ihre Zerstörung ist überall möglich und notwendig.

 

Dieser Thesentext ist als Einladung gedacht sich aktiv an der anarchistischen Buchmesse in Graz zu beteiligen. Wenn ihr einen Büchertisch machen wollt, oder Ideen für Diskussionen oder Präsentationen habt, schreibt uns (oder kommt einfach vorbei). Alle (anarchistischen) Beiträge sind willkommen. Wir würden uns aber freuen, wenn ihr bei euren Vorschlägen darüber nachdenkt, wie sie zu Die Stadt in Trümmern passen könnten. Wie ihr seht betrachten wir das Thema selbst als äußerst breit.

Eine kleine Anmerkung zum Text selbst:
Mögen die Lesenden bedenken, dass dieser Text innerhalb der sozialen Realität Mitteleuropas geschrieben wurde und seine Analyse dieses Denken und die dortige Erfahrungswelt widerspiegelt. Es ist sicherlich wichtig zu betonen, dass es sich dabei bekanntermaßen um eine Weltregion handelt, in der physisch vollkommen zerstörte Städte (gegenwärtig) nicht Teil dieser Erfahrungswelt sind. Und dennoch: Eine spezifische (befriedete) Erfahrungswelt bedeutet nicht, dass keine eigenen Positionen entwickelt werden können. Sich hinter den Erfahrungswelten anderer zu verstecken, heißt die Tore für Autoritarismus aufzustoßen. Es ist wichtig eigene Positionen zu entwockeln. Und es ist notwendig aufgestellte Thesen durch Argumente und Gegenbeispiele zu widerlegen. Bloße Hinweise auf den (offengelegten) Hintergrund der Schreibenden reichen einfach nicht aus.
Aber dies dennoch ist eine offene Einladung zur Kritik: Reaktionen und Kommentare, die die Thesen dieses Textes angehen, insbesondere was real existierende Gemeinschaften außerhalb (oder eben vielleicht doch vermeintlich außerhalb) der städtischen Sphäre oder Beispiele aus anderen Zeiten angeht, sind sehr willkommen.

Um uns zu kontaktieren schaut nach auf nongrata.noblogs.org oder schreibt an nongrata@riseup.net (wenn geht mit PGP). So findet ihr Infos zu Ort, (euren) Programm (-Vorschlägen), Büchertischen, Schlafplätzen und Zerwürfnissen.

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September 19th to September 21st 2024
3rd ANARCHIST BOOKFAIR IN GRAZ

«THE CITY IN RUINS»

The City destroys our autonomy, our social relations and everything that we and other beings need to live. The City as we know it dictates how we live, how we think and how we see the world. To live in the City means: near-total surveillance, social control, stress, poor air quality and alienation. Any attempt to escape the City soon turns out to be an act of self deception that can only be maintained temporarily at best. We all live in the City – as a system it spans far beyond densely populated areas. Even those who believe themselves to dwell in an idyllic pastoral soon will have to realize that they are completely integrated into the logic of a global infrastructural network. Where ever we try to be living our lives we are dependent on community and mutual aid. No matter if we try to get by within or outside of the city as a physical entity: In order to take control over our lives we must overcome the City as a system.

If the City is everywhere it can also be attacked anywhere.

The City in ruins. It’s a projection.
These are times in which we are lacking perspective. And even if we may not find hope in the negation of the existing, in its destruction, this can still be a point of leverage, a place for us to start realizing our creative potential.
When social tension erupts, this may happen without strategy, but this eruption may still have clear targets. Who ever tries to realize themselves in such an eruption doesn’t necessarily share an anarchist analysis. But still, the well greased engine may start to sputter. And those longing to act out their anarchist dreams in such a turmoil can do so if they only seize the moment. Instead of romanticizing the situation we need to be aware of our task as anarchists in the turmoils that are being anticipated and are already happening: It is to identify and destroy all forms of authority, the existing ones and the ones that are emerging.

The City in ruins. It’s a paralyzing menace.
Those in power are painting a picture of horror before our eyes. This picture is meant to keep us in a state of fear. It’s meant to make us comply. We are living in a state of dependency: What if the umbilical cord of infrastructure rips and we find ourselves alone – destroyed individuals, a destroyed social fabric in a destroyed landscape? We are made believe that we can only surviveunder the warmth of the City’s smog dome, that only its elaborated supply system can provide for us.
Even those who desire the end of the City seem to find more perspective in its “natural” breakdown than in its active destruction through a revolutionary process. The narrative of the collapse is blocking our lust for insurrection.

The City in ruins. It’s a social reality.
Apart from authoritarian scare tactics and insurrectionary projections the reality is that most people live in cities. In spite of all the alienation, our social relationships are inevitably entangled in the city. People are dependent on mutual aid in cities just the same, trying to make our lives as beautiful as possible. Besides frustration and feeling empty inside we also experience joy, community and, at times, self-realization in the cities. And there are many who have fallen in love with the city as a playgroundfor their acts of resistance.
Its destruction confronts us with concrete social problems, in many cases hardship and despair – no matter how this destruction comes about: wars, natural catastrophes or insurrectionaryeruptions.
But both, the destruction of the City and maintaining it, hit those the hardest who are already now the most marginalized. And it may be worthwhile to remind oneself that the City is hostile to life and can by no means support itself. Without the exploitation of the surrounding areas food, water and heating are virtually unavailable.
Rebuilding the oppression coming from the City cannot be our goal. The City is a place of control, exclusion and erosion. And a seemingly good life in the city for some is only possible through the exploitation of many.

Fearing we might lose what we possess leads to the destruction of what we need.

Let us hence destroy the City as a system and its inherent logic of hierarchy, exploitation and the consumption of resources. Let’s begin to reshape our lives on top of the City’s ruins and beyond. Those who seeksalvation in escapism trying to enjoy an idyllic life in the country without seeing the surrounding projects of extractivist infrastructure, without realizing that the periphery is itself part of the logic of the City, have missed the analysis and dropped out of the discussion. No matter how much we long for retreat: We can only exist through community and cooperation. And this cooperation always includes creative and destructive elements.

The City is everywhere. Destroying it is necessary, and possible anywhere.

 

This proposal is meant to be an invitation to actively participate in the anarchist book fair in Graz. If you want to do a book table or if you have ideas for discussions or presentations, write us (or simply come around). All (anarchist) contributions are welcome. We’d be happy, though, if you’d think about how your proposals might fit into The City in Ruins. As you can see, we also think of this topic in a very broad sense.

A little disclaimer concerning the text itself:
May those reading this text be aware that it has been written within the social reality of Central Europe and its analysis reflects its way of thinking and the experiences that can be made there. It’s certainly important to point out that this is, as we all know, a region of the world in which materially altogether destroyed cities are (contemporarily) not part of those experiences.
And still: A specific (pacified) set of experiences does not mean that one cannot develop their own point of view. To hide behind others at all times when it comes to taking up a position means to kick open the door to authoritarianism. It’s important to develop one’s own standpoint. And it is necessary to either support or disprove postulated arguments with examples or counter-examples. Merely pointing out the background of the authors is simply not enough.
Yet this is still to be understood as an open invitation to criticism: Reactions to and commentary on the arguments of this text are very welcome – especially concerning communities in actual existence that dwell (or maybe still supposedly dwell) outside of the realm of the City and concerning examples from other times.

In order to contact us about the location, (your) program (proposals), book tables, sleeping spots or discordance visit nongrata.noblogs.org or write to nongrata@riseup,net (pls use pgp).

 

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